Freitag, 9. September 2022

Tag 7 - Pupsnudel und der königliche Pullerbaum

2. Gastbeitrag:

Wenige Minuten nach um 6 schlage ich die Augen auf. Obwohl ich fest damit gerechnet hatte, kann ich das liebliche Rattern des nachbarlichen Generators nicht vernehmen. Kurz macht sich bei mir die Hoffnung breit, einen ruhigen Morgen in der Natur verbringen zu können. Doch nur 15 Minuten später, am gedeckten Frühstückstisch sitzend, geht es auch schon wieder los: Rattatatatatat. Auf den Knatter-König mit seiner stolz gehissten USA-Flagge (O-Ton Sophia: "Rabe-Socke-Flagge") ist einfach Verlass. Als ich dann den Müll wegbringe, schreit mir seine anmutige Begleiterin, ihre Nase am Fliegengitter ihres Wohnmobils plattdrückend, noch den wertvollen Hinweis hinterher, dass das Wasser doch gleich gegenüber sei, was ich nur leicht irritiert unter Hochhalten meines Abfallbeutels nickend quittieren kann. Offenbar wirkt es auf die einheimische Bevölkerung befremdlich, das Trinkwasser nicht in Mülltüten zu transportieren.

Sodann geht es auf zum Trailhead. Die Chance, die Wanderung heute mit Sophia zu schaffen, hatte ich zuvor auf etwa 40 Prozent prognostiziert. Über 500 Höhenmeter auf 13 Kilometer Länge galt es zu überwinden. Bestmarke bisher waren 8 km im Harz mit einer Steigung von vielleicht 100 Höhenmetern. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt... Der Beginn gestaltet sich leider etwas holprig. Während ich mit den bereits am Vortag gepackten Rucksäcken darauf warte, dass wir endlich losgehen können, vertrödeln meine Damen im Wohnmobil eine schier endlose Zeitspanne mit offenbar äußerst wichtigem Weiberkram wie die ausgiebige Pflege des Haupthaars oder die Veranstaltung einer mehrstündigen Podiumsdiskussion zum Thema "Kopfbedeckungen und wie man die Richtige auswählt". Nachdem all' diese zentralen Fragen doch noch geklärt werden konnten und ich meine mittlerweile eingeschlafenen Beine die ersten Meter auf den Wanderweg schleppen darf, fällt Lisa auf einmal ein, dass sie angesichts vorbenannter Problemflut ganz vergessen hat, ihre Wanderschuhe anzuziehen. Es ist zum Auswachsen. Also flitzt sie zurück zum Wohnmobil. Langsam mit Sophia weitergehend erwarte ich schon, dass Lisa bei ihrer Rückkehr wohl ohne Hose auftauchen wird, aber nein: Offenbar ist nun alles an Ort und Stelle. Sophia ermahnt Lisa nur noch einmal, sie möge sich doch angewöhnen, in Zukunft aufmerksamer zu sein und kontert Lisas Erwiderung, wonach sie ja auch nach Sophias Sachen schauen müsse, mit dem starken Argument, dass das bei Kindern eben so sei; dann geht es endlich los.

Die ersten Kilometer laufen sich wunderbar. Der Weg ist abwechslungsreich; überall gibt es Stellen zum balancieren und hopsen. Außerdem stellt sich heraus, dass ich meine ekelhaften Zimt-Müsliriegel doch nicht wegwerfen muss, weil sie Sophia vorzüglich munden. Kurz vor dem ersten See lässt Sophias Elan dann nach, was ich aber durch eine halbstündige Geschichte über die "Mäuseliese" ausgleichen kann. Damit wäre die erste Hälfte des Wegs geschafft - die Dollar Lakes und der Lamoille Lake liegen hinter uns.

Sollen wir es wirklich noch hoch zum Liberty Pass wagen? Wir entscheiden uns dafür und kämpfen uns unter Anwendung all' unserer spielerzieherischer Kompetenz vorwärts. Mal darf ich als wunderschöner Schmetterling mit Sophia um die Wette fliegen, dann als "König Weißbarth" mit meiner kindlichen Gattin "Elisabeth" unsere aufsässige Tochter mit dem wohlklingenden Namen "Pupsnudel" maßregeln. Nach langer Kraxelei in schier endlosen Serpentinen und einer letzten Rast am "königlichen Pullerbaum" ist es dann endlich geschafft: Sophia erreicht den Liberty Pass - Wahnsinn!

Und nur wenige hundert Meter dahinter erwartet uns auch schon das Ziel dieser ganzen Anstrengung: der malerisch schön gelegene, wenn auch äußerst windige Liberty Lake. Sieht der klasse aus!


Nach ausgiebigem Genuss des Panoramas und zahllosen Fotos machen wir uns wieder auf den Weg. Irgendwie muss das Kind ja auch wieder hier runter! Abermals gelingt es uns durch ausgiebiges Rollenspiel, sporadisch unterbrochen vom Reimspiel, keine Langeweile aufkommen zu lassen und schon bald sind wir wieder beim Lamoille Lake. Hier möchte Sophia unbedingt ihre Füße in den eiskalten See tauchen, wogegen wir nichts einzuwenden haben. In der Zwischenzeit kämpfe ich mit einem Streifenhörnchen um unsere letzten Vorräte.



Den letzten Teil des Weges ist Sophia dann so sehr in ihrer Fantasiewelt gefangen, dass es genügt, wenn wir ab und zu eine unverfängliche Nachfrage stellen oder ein erstauntes "Ach wirklich?" von uns geben, während sie irgendeine völlig hanebüchene Geschichte von Blumen, Schmetterlingen, Prinzessinnen und (aktuelles Topthema!) dem Tod naher Anverwandter und der damit verbundenen Grabpflege erzählt.



Wieder am Wohnmobil angekommen, versuchen wir Sophia für ihre unfassbare Leistung zu loben, aber irgendwie interessiert sie sich nicht wirklich dafür. Ihre Geschichte ist ihr viel wichtiger. Ein großes Eis isst sie zur Belohnung natürlich trotzdem gern und reflektiert beim Verzehr dann auch, dass sie "immer schön mitgelaufen" ist.

Da es erst 16:00 Uhr ist, entscheiden wir uns dafür, noch 100 Meilen zum nächsten Campground zu fahren, wo wir gegen 18:00 Uhr ankommen. Schön hier, aber abermals auch ziemlich windig.

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